Von Eva-Maria Henn

Ende März 2018 trat ich meine Reise nach Dänemark an und war sehr gespannt darauf, welche Erfahrungen ich im vielgelobten skandinavischen Schulsystem machen sollte. Welche Unterschiede gab es in didaktischer sowie pädagogischer Hinsicht, wie würden die dänischen Kolleg_innen mit Themen wie Diversität, Sparmaßnahmen, Schulorganisation, etc. umgehen? Welche „Wundermethoden“ wurden angewendet, um heterogene Schüler_innengruppen erfolgreich zu einem Abschluss zu führen? Ich war voller Vorfreude, das „System Schule“ in einem fremden Land vor Ort kennenlernen zu dürfen.
Bereits im Vorfeld hatte ich regen Emailkontakt mit meiner Mentorin Ingrid Kjaeregaard. Sie unterrichtet seit über 40 Jahren Deutsch und Sport an der Vinderup Realskole und ist auch sehr erfahren, was internationalen Lehrer_innenaustausch betrifft. Sie bat mich schon vor meiner Abreise, eine Powerpoint-Präsentation über unsere Schule, sowie auch Graz und Österreich, vorzubereiten und ich sollte einige Aufsätze ihrer Schüler_innen durchlesen und mit Kommentaren versehen. Hierbei bekam ich schon einen ersten Eindruck vom Sprachniveau der Lernenden.
Vinderup ist mit 8000 Einwohner_innen eine kleine Stadt in Westjütland im Nordwesten Dänemarks. Der Ort selbst besteht lediglich aus einer Kirche, drei Supermärkten und einigen kleinen Geschäften und ist somit eine typische dänische Kleinstadt, wie es sie in Dänemark so zahlreich gibt.
Die Realskole in Dänemark bietet Unterricht bis zur zehnten Schulstufe, was der gesetzlichen dänischen Bildungspflicht entspricht. Es handelt sich um eine öffentliche Schule, die von den Schüler_innen kostenlos besucht werden kann, sofern diese in der örtlichen Gemeinde gemeldet sind. Externe Schüler_innen müssen ein Schulgeld entrichten.
Die etwa 230 Schüler_innen teilen sich auf 18 hauptberufliche Lehrer_innen auf. Daneben gibt es Bildungsberater_innen, Sozialarbeiter_innen und Ersatzlehrer_innen, sodass die täglich anfallenden Zusatzaufgaben abseits des Stundenplans entsprechend verteilt werden können. Neben den personellen Ressourcen, können die Lehrer_innen der Vinderup Realskole auch auf eigene Vorbereitungszimmer mit Kopierern, Büros und Beratungsräume für Sprechstunden zurückgreifen. Über das Raumangebot konnte ich nur staunen – die Büros der Lehrer_innen entsprechen hinsichtlich der Größe und Ausstattung mindestens unseren Direktorenbüros, was schon einer der signifikantesten Unterschiede im Schulsystem darstellt. Obwohl auch das dänische Schulsystem nicht vor Sparmaßnahmen gefeit ist, so wird doch noch wesentlich mehr in Personal, Raum und Ausstattung investiert. Bildung hat einen unglaublich hohen Stellenwert in Dänemark, weshalb man offensichtlich bereit ist, sehr viele Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Interessant sind auch die weiteren Unterschiede, die ich im Schulalltag feststellen konnte. Einige möchte ich hier aufzählen:
- Duzen: Lehrer_innen werden von Schüler_innen geduzt. Dennoch herrscht großer Respekt vor dem Lehrkörper. Generell ist das Ansehen des Lehrberufs in der dänischen Gesellschaft sehr hoch.
- Schüler_innen im Lehrerzimmer: Das Lehrerzimmer ist auch für Schüler_innen offen, wenn diese Fragen haben oder etwas mitteilen wollen.
- Ruhe: Im Schulhaus war es angenehm ruhig – im Lehrerzimmer, in den Klassen, auf den Gängen. Generell herrschte ein entspanntes Arbeitsklima.
- Ausstattung der Klassenzimmer: Jeder Klassenraum ist mit Whiteboards und Internet ausgestattet, was das Arbeiten deutlich vereinfacht. Zusätzlich bekommt jeder Lehrende einen Laptop zur Verfügung gestellt, wie es auch in vielen Firmen üblich ist.
- Auch die Schüler_innen sind mit Laptops ausgestattet. Bücher als Unterrichtsmittel gibt es kaum. Alle Lehrer_innen sind dadurch äußerst medienaffin. Umso erstaunter war ich, als ich feststellte, dass tolle online Spracherwerbstools wie beispielsweise „Kahoot“, „quizziz“, „flipgrid“, etc. nicht bei allen Kolleg_innen bekannt waren.
- Generell ist das Vertrauen in die Schüler_innen sehr hoch. Man geht davon aus, dass sie sich „richtig“ verhalten. Dies wird auch dadurch erreicht, dass es einen gelebten Diskurs gibt, aus dem sich ein gewisses Selbstverständnis für das Miteinander ergibt.
- Schüler_innen können aktiv in der Schule „arbeiten“, z.B. haben sie die Möglichkeit sich im Lehrerzimmer gegen Bezahlung um Kaffee und Tee zu kümmern oder in der Schulkantine mitzuarbeiten.

- Bis zum Ende der neunten Schulstufe gibt es weder große schriftliche Überprüfungen noch Schularbeiten. Zentrale Jahresabschlussprüfungen werden zugelost, das heißt jedes Fach ist für jeden Schüler/jede Schülerin potentiell prüfungsrelevant. Das Mitlernen funktioniert anscheinend trotzdem, weil die Schüler_innen damit rechnen müssen, in jedem Fach die Prüfungen absolvieren zu müssen. Externe Lehrer_innen übernehmen die mündlichen Prüfungen. Schriftliche Examina werden ebenfalls fremdkorrigiert und -beurteilt.
- In der dänischen Realskole kann man nicht sitzenbleiben. Allerdings wird eine schlechte Note im Zeugnis in Dänemark als Makel gesehen, den es zu vermeiden gilt und der schon als „genug Strafe“ empfunden wird.
- Zusätzliche Vorbereitungs- und Unterstützungsstunden können von den Schüler_innen und Lehrer_innen verlangt werden, müssen aber finanziell entsprechend abgegolten werden.
- Unterrichtszeiten: Die Schüler_innen haben pro Woche maximal 35 Stunden Unterricht, der um 8.30 Uhr beginnt und spätestens um 15 Uhr endet. Es gibt eine 25minütige Mittagspause für alle, in der sowohl Lehrer_innen als auch Schüler_innen gemeinsam in der Schulkantine essen. Ich war überrascht, wie ruhig, geordnet und entspannt diese Pause verlief, und dass es trotz des knappen Zeitraumes für alle möglich war, stressfrei ein Mittagessen zu genießen.
- Jung und alt verstehen sich: Nicht nur in der Schule, auch in der Freizeit mischten sich die Generationen mehr. In der Schule wirkte das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis sehr freundschaftlich und trotzdem respektvoll.
- Hausübungen und der Unterrichtsstoff wurden online nach jeder Stunde oder jedem Schultag eingetragen. Das war auch für die Eltern hilfreich, um einen Überblick zu bekommen bzw. Schüler_innen konnten so bei Abwesenheiten den versäumten Stoff einfacher nachholen.
- Eine Klassenvorstands-Stunde pro Woche: in jeder Schulstufe ist der/die Klassenlehrer_in auf alle Fälle eine zusätzliche Stunde in der Klasse. In der 10. Klasse sind zwei Wochenstunden für externe Projekte und Vorträge vorgesehen.
- Den Schüler_innen wird Vertrauen geschenkt: Egal ob die Bibliothek selbst organisiert wurde oder sie in Kleingruppen in der Schule verteilt arbeiteten – es wirkte so, als ob man grundsätzlich vom „richtigen Verhalten“ der Schüler_innen ausginge.
- Kultur des „Verstehens“: Ich hatte den Eindruck, dass mit den Schüler_innen mehr kommuniziert und mehr von ihnen gefordert wird, Dinge aus einem moralischen Selbstverständnis heraus (nicht) zu tun.

Die Schüler_innen waren im Unterricht generell sehr diszipliniert und auch interessiert und bemüht, sich mit mir zu verständigen. Sie fanden es spannend, jemanden aus einem so „exotischen“ Land zu Gast zu haben und wollten einfach auch mehr erfahren. Auch außerhalb des Unterrichts waren sie sehr aufgeschlossen und versuchten, mit mir deutsch zu sprechen.
Während meiner Hospitationsstunden fielen mir natürlich bessere und schwächere Schüler_innen, Aktivere wie Passivere, auf. Ich hatte den Eindruck, dass die dänischen Kolleg_innen sehr direkt und ehrlich mit den Schwächen der Schüler_innen umgehen, d.h. Fehler werden wertungsfrei offen angesprochen. Die Schüler_innen nehmen Anregungen und Verbesserungsvorschläge sehr positiv und dankbar auf. Mit Fehlverhalten, wie beispielsweise dem Fernbleiben vom Unterricht, Zuspätkommen, etc. wird sehr konsequent und rigoros umgegangen, indem sofort die Eltern benachrichtigt werden.
Das direkte Erleben der Gesamtschule war für mich neu und sehr interessant. Laut meiner Betreuerin funktioniert sie aber auch einfach deshalb so gut, weil die Schüler_innen bereits von klein an gewohnt sind, sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Levels zu respektieren. Ich muss jedoch auch ehrlich festhalten, dass die Klassen in der Vinderup Realskole allesamt recht heterogen sind, was den sozio-kulturellen Background der Schüler_innen betrifft. Zudem sind die Gruppengrößen in den Fremdsprachen sehr klein, was das Arbeiten sehr angenehm macht.
Die Dän_innen gehen generell sehr respektvoll miteinander um. Sie sind unaufdringlich und leise und ich hatte in der Schule das Gefühl, dass alle ihre „Daseinsberechtigung“ hatten, egal wie sie waren oder aussahen. Aber auch außerhalb der Schule fiel die angenehme Ruhe und Zurückhaltung auf. In der Region Jütland schienen die Leute außerdem ehrlich und bodenständig zu sein. Wenn ein Familienmitglied Geburtstag feiert, beflaggen übrigens viele Dän_innen ihre Häuser.
Ich wurde in Dänemark sowohl von den Kolleg_innen, als auch von den Schüler_innen sehr herzlich empfangen. Meiner fantastischen Betreuerin Ingrid verdanke ich es, dass ich in so kurzer Zeit so viele Eindrücke von Dänemark bekommen habe und viel vom Land kennenlernen durfte. Ich hatte eine tolle Zeit und bin sowohl der EU, dem österreichischen Ministerium, meiner dänischen Betreuerin und nicht zuletzt auch Kollegin Brigitte Schlick und unserer Direktorin Grete Petermandl für die Ermöglichung dieses Aufenthaltes sehr dankbar. Der Aufenthalt im schönen Jütland war für mich sehr bereichernd und motivierend für meine Arbeit in Graz. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, über den Tellerrand zu blicken, weshalb ich diese Erfahrung jedem ans Herz legen kann. Tyssen tak for alt!