Brigitte Schlick
Aarhus ist Graz nicht unähnlich: Mit ihren rund 270.000 Einwohner_innen ist Aarhus die zweitgrößte Stadt des Landes, es studieren ca. 50.000 junge Menschen an unterschiedlichen Fakultäten in der Stadt, architektonisch wird alt mit neu gekonnt verbunden und 2017 ist Aarhus Europas Kulturhauptstadt.
Als touristisches Ziel bislang eher unbekannt, erlebt die Stadt in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung – vor allem im Bereich des Städtebaus; die Kulturhauptstadt wirkt zusätzlich als Katalysator.
In den 80er Jahren wanderte der Schiffsbau nach Asien ab, am Hafen entstand eine trostlose industrielle Brachlandschaft, die Stadt kehrte dem Meer ihren Rücken. In den letzten Jahren wurde dieses Areal von seinen Ruinen befreit und teilweise neu bebaut. Das DOKK1 mit seiner zentralen Lage unmittelbar an der Mündung des Kanals, der zwischen den zwei Weltkriegen überbaut, nun aber freigelegt wurde und sich wie eine Lebensader durch die Altstadt zieht, dient als Bindeglied zwischen dem Meer und der Stadt.
Mit einer Gesamtfläche von 28.000m2 steht genügend Raum für das Bürger_innenservice der Stadt und eine umfassende Bibliothek mit zahlreichen Computerarbeitsplätzen zur Verfügung. Aktuell befindet sich auch das Büro der Kulturhaupt-stadt im Gebäude. Darüber hinaus erhöhen 1.000 Parkplätze in einer vollautomatischen Tiefgarage und zahlreiche attraktive Spiel-möglichkeiten für Kinder im Außenbereich die Anziehungskraft des Hauses.
Ein weiteres Beispiel für gelungenen Städtebau ist die Entstehung des neuen beliebten Wohnviertels am Hafen: Aarhus Ø, wo ein Gebäude architektonisch interessanter ist als das nächste. Es scheint, als würden die unterschiedlichen Gebäude untereinander in einem Architekturwettbewerb stehen. Bei einem Spaziergang am Meer entlang entdeckt man Kleinstgärten aus Euro-Paletten, zahlreiche Sitzmöglichkeiten laden zum Verweilen ein und die Platzverteilung für Straßenbahn, Autoverkehr sowie Fuß- und Radwege ist ausgeglichen. Ja: Radfahrer_innen haben gleich viel Platz wie Autofahrer_innen!
Das Programm der Kulturhauptstadt ist bunt und breit gefächert und findet nicht nur in Aarhus selbst statt sondern in 18 weiteren Städten der Region. Der Leitsatz "Let´s Rethink“ zieht sich durch das gesamte Programm, „ist aber viel mehr als ein Thema – es ist eine Denkweise, die auf Veränderung, Innovation und Mut aufbaut, eine progressive Art und Weise zu denken und zu handeln“ (www.aarhus2017.dk/de/ueber-aarhus-2017/).
Mein Besuch in Aarhus führt mich einerseits zu konkreten Veranstaltungen der Kulturhauptstadt aber auch zu Gesprächen mit Projektverantwortlichen.
Ein Pflichttermin bei einem Besuch von Aarhus 2017 ist das Kunstmuseum ARoS. Den Architekturwettbewerb entschieden die lokalen Architekten Schmidt, Hammer & Lassen für sich – sie zeichnen auch für DOKK1 verantwortlich, sind aber auch international tätig und haben Büros in Aarhus, Kopenhagen und Shanghai. Auf dem würfelförmigen Bau befindet sich das weithin sichtbare und begehbare „Your rainbow panorama“ des renommierten Künstlers Olafur Elisasson.
Die Ausstellung „The Garden“ vermittelt aus dem Blickwinkel der Kunst ein Gesamtbild des veränderlichen Verhältnisses vom Menschen zur Natur. Diese Unterschiede sind nicht nur Ausdruck des ästhetischen Geschmacks des betreffenden Künstlers, sondern auch Ausdruck der generellen gesellschaftlichen Veränderungen. „No Man is an Island – The Satanic Verses“ lenkt die Aufmerksamkeit u. a. auf das Recht der Menschen, unterschiedliche Meinungen zu haben, auf ein Europa in Bewegung und die Herausforderungen, denen wir als Individuum und als Gruppe in Bezug auf unser Menschenbild und unseren Wertekanon begegnen.
Aber auch kleinere Ausstellungen an interessanten temporären Orten sind einen Besuch wert: Zum Beispiel werden in „Future Feminism“ – untergebracht in einer charmanten Industrieruine am Hafen – drei Projekte eindrucksvoll in Szene gesetzt: 13 Dogmen, die als Provokation gedacht sind, fordern dazu auf, ein stärkeres kollektives feminines Bewusstsein zu entwickeln, das unser Verhalten neu organisieren und die Welt retten soll. Dogma #13: „Die Zukunft ist weiblich“.
In der Tanzperformance „Circus on my mind“ liefern sich Akrobat_innen-Paare einen abwechslungsreichen und spannenden Wettkampf und lassen uns zu Zeug_innen faszinierender Körperkontrolle, ungewöhnlicher Geschicklichkeit und purer Körperkraft werden.
Programmdirektorin Juliana Engberg betont, dass sie bei der Programmerstellung Wert auf einen ausgeglichenen Mix aus regional, national und international gelegt hat. Die großen Institutionen in den unterschiedlichen Kunstsparten waren in den Prozess eingebunden und wurden motiviert, größer bzw. internationaler zu denken und entsprechende Programmvorschläge zu unterbreiten. Schließlich sind 50 unterschiedliche Nationen im Programm vertreten. Engberg wünscht sich, dass dieses neu erworbene Selbstbewusstsein und Selbstverständnis über die Kulturhauptstadt hinaus wirkt und die lokalen Kulturschaffenden risikobereiter Projekte konzipieren und umsetzen.
Dass die Kulturhauptstadt bislang ein Erfolg ist (die Gespräche wurden am 14. August 2017 geführt) bestätigt auch Marketingchef Bent SØrensen. Zurückzuführen sei die Erfolgsgeschichte auf einen Mix an Maßnahmen: Die Einbindung der gesamten Region sei ebenso ein Faktor, wie der allgemeine Aufwärtstrend der Stadt, aber auch Aktionen im Vorfeld von 2017, die den Bekanntheitsgrad der Stadt im Allgemeinen und der Kulturhauptstadt im Besonderen erhöhten. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang eine Wanderausstellung, die ab 2015 die wesentlichen Programmpunkte der Kulturhauptstadt an zig verschiedenen Orten vorstellte oder eigens arrangierte Präsentationen für dänische Botschafter_innen in der ganzen Welt und umgekehrt für internationale Botschafter_innen in Dänemark. Auch im Stadtbild ist die Kulturhauptstadt höchst präsent: Neben Fahnen und Plakaten erregen vor allem die auffallenden und dicht verlegten Bodenplatten mit dem Schriftzug von Aarhus 2017 die Aufmerksamkeit der Stadtbesucher_innen. Sehr gezielt setzte der Leiter der Kommunikationsabteilung auch seine Kontakte zur nationalen und internationalen Pressevertreter_innen ein, was sich schließlich in zahlreichen Medienberichten weltweit niederschlug. Aber auch lokal wurde viel in Kommunikation investiert: Eine tägliche Radiosendung kündigt die aktuellen Veranstaltungen umfassend an. Bereits 2015 wussten 80% der Aarhuser Bevölkerung, dass die Stadt im Jahr 2017 Kulturhauptstadt sein würde, Mitte 2017 waren es 98%.
Eng verknüpft mit der Kommunikationsstrategie ist die Organisationsstruktur von Aarhus 2017. Zahlreiche Gremien garantieren die Integration zahlreicher Stakeholder in die Vorhaben der Kulturhauptstadt. Neben Programm-, Kommunikations- und Regionalforen sorgen auch Aufsichtsrat und Tourismusverbund für ein hohes Maß an Identifikation mit Aarhus 2017. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind auch die 3.500 Freiwilligen und zugleich Multiplikator_innen, die die Organisation unterstützen. Dabei handelt es sich vorrangig um Studierende und Angehörige der Personengruppe 60+, die beispielsweise Kreuzschifffahrtgäste durch die Kulturhauptstadt lotsen oder bei Großveranstaltungen Ordnerdienste übernehmen. Der Eintritt zu diesen Events ist für die Freiwilligen gratis.
Das Team im engeren Sinn besteht aus 60 Mitarbeiter_innen aus nah und fern: Die CEO Rebecca Matthews ist Britin, Programmdirektorin Juliana Engberg ist Australierin mit dänischen Wurzeln, Bent SØrensen ist zwar Däne, aber nicht aus Aarhus und auch Projektmanager_innen aus San Sebastian (Kulturhauptstadt 2016) verstärken das Team, das zur Hälfte aus Mitarbeiter_innen der Stadt Aarhus und der Region Midtjylland besteht, die wiederum dafür sorgen, den Spirit der Kulturhauptstadt in den Köpfen der Menschen vor Ort zu verankern. Das Konzept scheint aufzugehen, die investierten 58 Millionen Euro werden sich lohnen, die Besucher_innenzahlen übertreffen die kühnsten Erwartungen.
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Fotos: Elfriede Wolfsberger und Brigitte Schlick